Ausgerechnet Europas Krisenland hat beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit die Nase vorn. Nirgendwo wird Müll so effizient wiederverwertet, auch Ökostrom und Biolandwirtschaft spielen eine große Rolle. Was einst aus der Not geboren wurde, könnte für die Wirtschaft nun die Rettung sein
Von Ulrike Sauer
Greta, sagt Francesco Starace, Chef des italienischen Stromkonzerns Enel, sei ein Symbol. Keiner kenne sie, aber alle benutzten sie. Wofür die schwedische Klimakämpferin steht, daran hegt Starace keinen Zweifel: „Greta symbolisiert, dass wir verstanden haben, dass die Klimakrise von uns verursacht wurde und wir sie lösen müssen“. Aus dem Mund eines der mächtigsten europäischen Energiemanagers sind das ungewöhnlich klare Worte. Seine kurze Rede – gehalten im päpstlichen Saal des Franziskanerkonvents in Assisi – gipfelt dann in der Feststellung: „Ich kann alle nur ermutigen, den Wandel entschlossen in Angriff zu nehmen“, so der Enel-Chef. Es gehe leichter und schneller voran, als man denke. Eine verkehrte Welt? Ausgerechnet der Stromboss aus Rom tritt als Hauptbotschafter des italienischen Pakts zum Kampf gegen die Klimakrise auf. Mehr als 2000 Unternehmen, Wirtschaftsverbände, kommunale Vertretungen, Universitäten, kirchliche Organisationen sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft haben das Manifest von Assisi unterschrieben.
Manifest für den Wandel
Die beiden Väter der Erklärung sind Ermete Realacci, Präsident der Stiftung Symbola und einer der Begründer der italienischen Umweltbewegung, und Pater Enzo Fortunato, Pressechef des Konvents in der Heimatstadt von Franziskus, Italiens Nationalheiligem. Der adrette Anzugträger Starace, der über Italiens wertvollsten Börsenkonzern herrscht, hat mit dem Alt-Grünen im Pulli und dem Franziskanermönch mit der dicken Gürtelkordel über der Kutte mehr gemeinsam als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die beiden Initiatoren des Manifests rannten bei ihm offene Türen ein.
Enel treibt seine Energiewende seit acht Jahren zielstrebig voran. Mit einer Kapazität von 46 Gigawatt ist der Konzern der weltweit größte private Hersteller von Ökostrom. Der grüne Anteil an der Stromerzeugung stieg 2019 auf 50 Prozent. Bis 2022 will Enel die Kapazität der CO2-freien Stromgewinnung auf 60 Prozent ausbauen und den Einsatz von Kohle deutlich reduzieren. 2030 will Enel die Kohleverstromung komplett einstellen. „Das ist nicht nur eine gute Sache, es lohnt sich auch“, sagt Starace. Der Börsenwert des Konzerns hat sich in fünf Jahren auf 77 Milliarden Euro verdoppelt. 10,5 Prozent des Kapitals sind in der Hand von Investorenmit nachhaltiger Anlagestrategie. „Das beweist, dass das Streben nach einem nachhaltigen Wachstumsmodell eine sehr rationale Entscheidung ist“, sagt der Nuklearingenieur Starace. Italien habe eine natürliche Neigung zu dieser Art des Wirtschaftens. „Unser Land kann dabei nur gewinnen.“
Klimakrise als Chance
In der fast 800 Jahre alten Basilika San Francesco traten am vergangenen Freitag noch eine Menge anderer prominenter Redner ans Mikrofon. Darunter der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, der italienische Premier Giuseppe Conte und Industriellenchef Vincenzo Boccia. Ein Punkt war allen Unterzeichnern des Manifests von Assisi wichtig: Die Herausforderung der Klimakrise ist Italiens Chance, den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang zu stoppen. Hat der Verlierer der Globalisierung tatsächlich gute Karten, zum Gewinner eines klimafreundlichen Wirtschaftswandels zu werden? Catia Bastioli ist Chemikerin und arbeitet seit 30 Jahren mit Leidenschaft genau daran. Erst als preisgekrönte Wissenschaftlerin, seit 1989 als Mitgründerin des Biokunststoffherstellers Novamont, den sie heute leitet. Außerdem ist Bastioli Aufsichtsratschefin des italienischen Stromnetzbetreibers Terna. Die Umweltpionierin sieht Italien in einer guten Ausgangsposition. „Der Kampf gegen die Klimakrise kann Italien zum Treiber des Wandels und sogar zu seinem Modell machen“, sagt sie. Bei ihrem Vortrag blickt die Novamont-Chefin zufrieden in den überfüllten Saal. „Die Artenvielfalt hier ist bewegend“, witzelt sie. Doch es ist ihr ernst damit. Einzelinitiativen reichten nicht mehr aus. „Handelnde aus den verschiedensten Bereichen müssen sich vernetzen und ihre Strategie gemeinsam vorantreiben“, fordert sie. Das genau ist die Absicht des Manifests.
Recycling gegen Rohstoffmangel
„Ich habe mich der Initiative angeschlossen, weil sie viele verschiedene Akteure zusammenbringt“, sagt etwa Carlo Montalbetti vom Recycling-Konsortium Comieco. Die Firmen des Comieco-Verbunds recyceln im Jahr zehn Millionen Tonnen Verpackungsabfall aus Zellulose. Italiens Rohstoffmangel sei der stärkste Antrieb für das Wachstum der Gruppe gewesen, sagt Montalbetti. Aus der Not eine Tugend machen, diese Devise gilt in allen Branchen. Der mittelalterlichen Tuchstadt Prato in der Toskana zum Beispiel gelang nach dem Krieg der Wiederaufstieg, als die Unternehmen begannen, die gesammelten Altkleider Europas zu recyceln und weltweit als Billigstoffe zu vermarkten. Mit diesem Know-how erwarb sich Prato zunächst den unrühmlichen Beinamen „Lumpenstadt“. Heute reißen sich die Luxuslabel um die neue nHightech- Materialien aus der Kreislaufwirtschaft. Oder Treviso im Veneto: Hier ging 2017 die weltweit erste Anlage zur Wiederaufarbeitung von Windeln in Betrieb. Die Firma Fater wurde für dieses patentierten Verfahrens von der EU-Kommission mit dem Preis Circular Economy Champion ausgezeichnet. Dehnte man das Windel-Recycling auf das ganze Land aus, würden im Jahr klimaschädlichen Emissionen eingespart, die denen von 100000 Autos entsprechen.
Italien – eine Supermacht der Kreislaufwirtschaft?
Viele Deutsche, die sich als Weltmeister der Mülltrennung fühlen, mag das überraschen. Doch in Italien werden 79 Prozent des gesamten Abfalls der Wiederverwertung zugeführt. In Deutschland 43 Prozent. Den Politikern ist es nicht zu verdanken, dass Italien hier nicht hinterher hinkt.Diese Stärke kommt von unten, sagt Manifest- Initiator Ermete Realacci. „Sie liegt in der Art unseres Auf-der-Welt-Seins begründet.“ Sein Lieblingsbeispiel sind die Hersteller von Karussells und Fahrgeschäften. Sie seien international führend, weil sie den Vergnügungsparks rund um die Erde maßgeschneiderte und schöne Attraktionen anböten. Zudem verbrauchten ihre Maschinen nur halb so viel Energie wie deutsche Modelle. Der Italiener dächte immer darüber nach: „Wo kann ich eine Schraube ändern, um noch ein wenig Strom zu sparen?“ In den vergangenen drei Jahren hat in Italien jede dritte Firma, 432000 an der Zahl, in Nachhaltigkeit investiert. Es handelt sich um die innovativeren Unternehmen, die mehr exportieren und mehr Stellen schaffen, heißt es im Bericht „Green Italy 2019“, den die Symbola-Stiftung zusammen mit den Handelskammern herausgibt. 2018 hat die Green Economy 100000 Arbeitsplätze geschaffen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 30.01.2020