Mit Shalini Randeria war beim ersten Frühstücksgespräch im Jahr 2015 im Sneak In im 7. Wiener Gemeindebezirk eine hochkarätige Wissenschafterin aus dem Bereich der Soziologie geladen. Die gebürtige Inderin Shalini Randeria übernahm im Januar 2015 das Rektorat des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen und sprach beim Frühstücksgespräch über kulturelle Identität, Europazentrismus und Wachstumszwänge in Indien.
Dabei gestaltete Randeria das Frühstücksgespräch mit dem Titel „Kulturelle Chancen & Grenzen: ein vereintes Europa und seine vielschichtigen Identitäten“ besonders frei und familiär und lockerte die Runde mit einer Anekdote über kulturelle Identität auf, wobei sie von einem Grenzbeamten, der verwundert über ihren indischen Pass, ihren Geburtsort Washington D.C. und ihre drei Wohnorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz war, erzählte. „Ebenso wie jeder Einzelne von uns verfügt auch ein Nationalstaat nicht nur über eine Identität, sondern besteht aus einer Vielzahl von miteinander verwobenen Identitäten“, schildert Randeria.
Genauso steht es auch um die historischen Rahmenbedingungen, denn die Geschichte eines Staates oder Volkes ist immer mit anderen Nationen oder Völkern verknüpft – Verflechtungsgeschichte nennt Randeria dieses Phänomen. Damit wird der Austausch und die wechselseitige Beeinflussung hervorgehoben, die aber auch asymmetrisch wie unter dem Kolonialismus verlaufen kann. „Die Folgen des Kolonialismus sind auch heute noch spürbar – unter anderem in der vielfach diskutierten Flüchtlingskatastrophen. Zur Lösung dieser Krise bedarf es längerfristige Ansätze. Abfangen der Schlepperboote ist so wie die kleinräumigen Entwicklungsprojekte keine Lösung. Vielmehr muss eine langfristige Entwicklungspolitik von der EU in Afrika angestrebt werden, die mit einer gerechten Agrar- und Handelspolitik verknüpft wird.
Auch in Bezug auf Wachstumszwänge hatte die Enkeltochter eines der Autoren der indischen Verfassung einiges zu erzählen: „In Indien gibt es bereits seit über 100 Jahren beginnend mit Mahatma Gandhi Bestrebungen, die von der Gigantomanie des Kapitalismus wegzukommen versuchen. Mittlerweile ist diese Diskussion aber wieder verstummt.“ Grund hierfür ist der zunehmende Wachstums- und Konsumwahn in Indien und die Angleichung an das große Vorbild USA.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie auf der Homepage des Instituts für die Wissenschaften des Menschen oder in ihren Publikationen „Jenseits des Eurozentrismus: Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften“ (2014) oder „Vom Imperialismus zum Empire: Nicht-westliche Perspektiven auf Globalisierung“ (2009).