Dass der Mensch mit seiner Lebensweise der Erde und somit sich selbst erheblichen Schaden zufügt, ist unbestritten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des UNO-Weltklimarats (IPCC) warnen nun vor einem weiteren Dilemma in der Klimakrise: die übermäßige Bewirtschaftung von Land, die fatale Folgen habe.
In einem umfassenden Bericht, der am 8. August in Genf vorgestellt wurde, geht es darum, wie Ackerbau und die Rodung von Wäldern die Erderwärmung verstärken, aber auch die Ernährung von mehr als 5,5 Milliarden Menschen weltweit gefährden. Die Forscherinnen und Forscher des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) schreiben in dem Sonderbericht, „menschliche Aktivitäten“ hätten zu ausgelaugten Böden, der Ausdehnung von Wüsten, dem Verschwinden von Wäldern und der Entwässerung von Torfgebieten geführt. Dabei handle es sich gerade um jene Gebiete, die eigentlich imstande seien, der Klimakrise entgegenzuwirken – bekanntestes Beispiel ist etwa der Amazonas-Regenwald.
Unkultiviertes Land schützt die Erde vor Überhitzung, da Wälder das klimaschädliche CO2 aus der Luft aufnehmen. Durch Photosynthese wird dann Sauerstoff frei, den Lebewesen zum Atmen benötigen. Nicht nur geht dieser positive Effekt verloren, durch die Bewirtschaftung würden jene Flächen selbst zur Quelle für die Entstehung von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2). Beispielsweise werden Bäume, die erst gepflanzt werden, später für die Energiegewinnung verbrannt und Pflanzen, die erst angebaut werden, anschließend für Biodiesel verwendet.Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge stammen zwischen einem Viertel und einem Drittel aller Treibhausgasemissionen aus jenen landwirtschaftlichen Anbaugebieten. Aus diesem Grund müsse der „Landmissbrauch“, wie der IPCC schreibt, unmittelbar gestoppt werden, um die Gefahr einer katastrophalen Erwärmung des Klimas einzudämmen.Der Bericht warnt auch vor einem Wettrennen um Grund und Boden zwischen den verschiedenen Playern. Laut dem IPCC liefern sich schon jetzt Hersteller von Biokraftstoffen, Kunststoffen, Holz, Papier, Zellstoff und nicht zuletzt Nahrungsmitteln einen erbitterten Konkurrenzkampf, der sich immer weiter zu verstärken drohe.
Ernährung als unterschätzter Faktor
Eine rapide wachsende Weltbevölkerung stellt dem IPCC zufolge die Industrie vor spezielle Herausforderungen. Die derzeitigen Lösungen gehen dabei nicht zuletzt auf Kosten des Planeten. Insbesondere die Produktion von rotem Fleisch – in erster Linie Rind- und Schweinefleisch – wird laut Prognosen die Erde weiter stark belasten, da der weltweite Konsum stetig steigt. Dabei ist nicht nur Methangas, das die Tiere ausstoßen, für das Weltklima höchst problematisch, sondern auch die Massen an Tierfutter, die produziert werden müssen. Jedes Jahr verschwinden Tropenwälder von der Größe Sri Lankas, da der Mensch neue Anbauflächen für eine exportorientierte Agrarindustrie schafft. Gleichzeitig schwindet damit die Möglichkeit, große Mengen Kohlendioxid aufzunehmen. Im Amazonas-Regenwald und auch in der Cerrado-Savanne im Südosten Brasiliens werden riesige Wälder vernichtet, die in der Regel zuerst als Weideland und anschließend als Sojafelder genutzt werden.Wer nun aber denkt, dass der Sojakonsum des Menschen, etwa in Form von pflanzlicher Milch und Tofuschnitzel, daran schuld ist, irrt. Soja wird zum weit größten Teil für die Fütterung von Schlachttieren angebaut (75 Prozent), der Rest verteilt sich hauptsächlich auf Kosmetikprodukte und Sojaöl.
Lebensmittelverschwendung kostet Milliarden
Das im Juni vereinbarte Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Handelsverbund Mercosur könnte die brasilianischen Agrarexporte sogar noch weiter ankurbeln. In dem Vertrag verspricht Europa zwar, kein Soja und Rindfleisch einzuführen, das auf Abholzungsflächen produziert wurde. Wie genau das kontrolliert und umgesetzt werden soll, bleibt jedoch vage. Der IPCC-Report ergab auch, dass Milliarden Menschen jeden Tag Lebensmittel wegwerfen, während Hunderte Millionen hungern. Laut dem IPCC werden jährlich zwischen 25 und 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel verschwendet oder weggeworfen. Seit 1970 ist dieser Anteil den Angaben zufolge um rund 40 Prozent gestiegen. Der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zufolge kostet dieser Verlust jedes Jahr fast 890 Milliarden Euro und trägt rund acht Prozent zur ohnehin schon miserablen CO2-Bilanz bei. Doch nicht überall nimmt die Lebensmittelverschwendung die gleichen Ausmaße an. Dem IPCC zufolge wirft jeder Mensch in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas im Jahr 95 bis 115 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. In den afrikanischen Subsahara-Staaten und in Asien sind es durchschnittlich nur sechs bis elf Kilogramm pro Kopf. Ungefähr zwei Milliarden Erwachsene weltweit sind übergewichtig oder fettleibig, während 820 Millionen Menschen an Hunger leiden.
Wie soll Land genutzt werden?
Im Bericht heißt es weiter, die Menschheit habe die schwierige Entscheidung darüber zu treffen, wie Anbauflächen künftig genutzt werden sollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben zu, dass es viel Anstrengung bedeute, Felder ressourcenschonender zu bewirtschaften, als es derzeit der Fall sei. Unter anderem müssten etwa eine halbe Milliarde Bäuerinnen und Bauern weltweit umdenken. So sollte die Agrarindustrie nicht ausschließlich auf Monokulturen setzen, sondern auf Mischkulturen. Außerdem empfiehlt der IPCC, mehr Agroforstwirtschaft zu betreiben, also Nahrungspflanzen und Bäume auf einer Fläche zu pflanzen. Ein Ansatz ist auch, die Landwirtschaft stärker auf kleinere Flächen zu konzentrieren, damit möglichst viel Land bleibt, das für das Absorbieren von CO2 dienen kann. Überdies hinaus müsste der Mensch viel mehr auf Wiederaufforstung und den Schutz der Moore setzen. Nicht zuletzt müssten Ernährungsweisen in großem Maßstab umgestellt werden, damit weniger Kühe und Schweine gezüchtet werden müssen.
Tausende Expertinnen und Experten beteiligt
Die Forscherinnen und Forscher vom IPCC erhoffen sich, dass durch ihren Bericht das Thema Landnutzung mehr in den Fokus internationaler Verhandlungen zur Klimakrise gerückt wird. Der IPCC wurde 1988 von der UNO-Umweltorganisation (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet und veröffentlicht alle fünf bis sechs Jahre umfassende Überblicke zum Stand der Klimaforschung. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und zu möglichen Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an, die jeweils Expertinnen und Experten entsenden.
Hintergrund zum Klimabericht
Die Nahrungsmittelversorgung der Weltbevölkerung steht im Mittelpunkt des neuen Klimaberichts, der in Genf vorgestellt wurde. Das Gremium mit Sitz in Genf wird seit 2015 von dem Südkoreaner Hoesung Lee geleitet, einem Experten für die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Die IPCC-Berichte werden von Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammengestellt, darunter Expertinnen und Experten aus Klima- und Meeresforschung, Statistik, Ökonomie und Gesundheit. Der IPCC betreibt in der Regel keine eigene Forschung zum Klimawandel, sondern wertet Tausende Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen.
Quelle: orf.at