Ein Jahr vor dem Auslaufen der Millenniums-Entwicklungsziele haben die Vereinten Nationen eine gemischte Bilanz gezogen. Die extreme Armut wurde zwar weltweit halbiert, aber die Entwicklungsschere geht auseinander. Will die Weltgemeinschaft extreme Armut endgültig beseitigen, wird sie auch das Thema Ungleichheit adressieren müssen.
Im uralten Kampf gegen Hunger, Armut, Krankheit und Umweltzerstörung hatte sich die Weltgemeinschaft zur Jahrtausendwende gewaltige Ziele gesteckt: Bis 2015 sollte die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, zumindest halbiert werden, mehr Menschen Zugang zu Bildung und elementarer Gesundheitsversorgung bekommen, Frauen in Beruf und Alltag gleiche Rechte erhalten wie Männer. Grundsätze nachhaltiger Entwicklung sollten in die nationale Politik und die Programme jedes einzelnen Entwicklungslandes einbezogen werden.
Vor wenigen Tagen haben die Vereinten Nationen ihre neue Jahresbilanz dieser Millennium Development Goals (MDG) vorgestellt. Der wichtigste Fortschritt ist wohl die Halbierung jener Zahl von Menschen, die pro Tag mit weniger als 1,25 Dollar auskommen müssen. Im Jahr 1990 lebten in den Entwicklungsländern noch fast die Hälfte der Menschen unter dieser Armutsgrenze. Schon 2010 waren es immerhin nur noch 22 Prozent, heißt es in dem Bericht. Die größten Fortschritte gab es in China. Im Reich der Mitte sank der Anteil der Ärmsten an der Bevölkerung seit 1990 von 60 auf 12 Prozent. Doch leben dort immer noch 13 Prozent der Armen der Welt.
Die gesellschaftliche Schere geht auseinander
Die Armut konzentriert sich in den jüngsten Jahren nicht mehr allein auf die am wenigsten entwickelten Länder. In Indien lebt ein Drittel aller Armen Menschen der Erde, Nigeria und der Kongo sind ebenfalls stark betroffen. Die meisten Armen leben inzwischen in den sogenannten Middle-Income-Countries, sagt Ingolf Dietrich vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das sind nach der Definition der Weltbank Staaten, in denen das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 2,90 und 35 Dollar pro Tag liegt. Dazu zählen eben China und Indien, aber auch der Großteil des Balkans, die Ukraine und die Türkei. Aus der hohen Zahl von Armen in einigen dieser Staaten und gestiegenen Kapazitäten folge eine gestiegene Verantwortung der Schwellenländer zur Armutsbekämpfung, so Dietrich.
Südasien und viele Staaten in der sogenannten Subsahara-Region Afrikas leiden zudem noch immer unter massiver Armut. „Es ist abzusehen, dass es bis 2015 den ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung nicht besser gehen wird“, sagt Dietrich. Obgleich nach wie vor die Datenlage zu wichtigen Entwicklungsindikatoren lückenhaft ist, verweisen die Vereinten Nationen darauf, dass die vorhandenen Quellen bislang nicht ausreichend genutzt werden, um hartnäckige Ungleichheiten in Gesellschaften, wie Fragen des Zugangs zu medizinischer Versorgung anzugehen.
Die MDG haben mit ihrem Fokus auf Armutsbekämpfung die Verbindung gesellschaftlicher Entwicklung mit ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit aus dem Blick verloren. Deshalb hat die Weltgemeinschaft schon 2012 beschlossen, im Rahmen der Post-2015 Agenda globale Ziele für eine nachhaltige Entwicklung auf den Weg zu bringen, die mit den fortzuschreibenden MDG verbunden werden sollen. Besonderheit dieser Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) soll sein, dass sie erstmals für alle Staaten gelten und dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung folgen.
Zur Vorbereitung der diplomatischen Verhandlungen ab Herbst 2014 haben die UN-Mitgliedsstaaten eine zwischenstaatliche offene Arbeitsgruppe eingerichtet. Der Arbeitsgruppen-Entwurf eines Zielkatalogs liegt nun vor. Eines dieser Ziele soll sein, bis 2030 die Zahl der Ärmsten in den Low-Income-Countries zu halbieren. Ein weiteres: Zugang für alle Menschen zu „angemessenen, sicheren, erschwinglichen und nahrhaften Lebensmitteln“. Mit dem letzten Zusatz käme die Staatengemeinschaft einer Forderung der Welthungerhilfe nach.
Bislang kennzeichnet eine fehlende Datengrundlage den Entwicklungsprozess. So werde nicht die Zahl jener Menschen erfasst, die zu wenig Eisen, Vitamin A oder andere wichtige Nährstoffe zu sich nehmen. „Diese Art des ,versteckten Hungers‘, der unter anderem zu Kleinwuchs bei Kindern führt, muss ebenfalls thematisiert werden“, fordert die Organisation.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jüngst in einer Videobotschaft angekündigt, die Weiterentwicklung der Millenniums-Ziele auch im Rahmen von Deutschlands G7/G8-Präsidentschaft einzusetzen, welche die Bundesregierung noch bis Mitte 2015 innehat.
Quelle: Rat für Nachhaltige Entwicklung – zur Website
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