Was unterscheidet die Corona- von der Klimakrise? Warum besteht eine Kluft zwischen Wissen und Handeln, wenn es um Umweltgefahren geht? Was verbirgt sich hinter der Bequemlichkeits- oder Verdrängungsfalle? Was hat es mit dem Gemeingut-Dilemma auf sich? Was bedeutet psychische Reaktanz? Und warum helfen Verzichtsappelle nicht weiter? Diesen und weiteren Fragen geht Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek, in einem JBZ-Arbeitspapier nach.
Die Coronavirus-Krise zeigt, dass gesellschaftliche Ressourcen mobilisiert und Einschränkungen umgesetzt werden können, um Bedrohungen zu begegnen. Viele fragen sich nun, warum dies in Bezug auf Umwelt- und Klimagefahren nicht in diesem Ausmaß gelingt. Das Wissen über Umweltgefahren und ökologische Zerstörungen ist zwar stark gestiegen. Doch mehr Wissen ist offensichtlich noch keine hinreichende Bedingung für ein geändertes Umweltverhalten. Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ), geht davon aus, dass es systemisch bedingte Handlungsbarrieren gibt. Mehr Wissen allein reiche nicht, um zu einem nachhaltigeren Handeln zu kommen.
You only live once?
In seinem Arbeitspapier „Wann lernen Gesellschaften?“ beleuchtet Holzinger Tiefenstrukturen der Konsumgesellschaft wie das Dazugehören-Wollen oder „den Versuch, sich Erlebnisse zu kaufen, was aber scheitert.“ Er erklärt ökonomische Wachstumszwänge, die Komplexitäts-, Bequemlichkeits- und Verdrängungsfalle, die Rolle von Fake News und falschen Wirkungseinschätzungen. Und er verweist auf psychologische Aspekte wie kognitive Dissonanzen und Reaktanz: „Wer immer nur von Krisen hört, macht irgendwann zu und will nichts mehr davon hören.“ Eine Extremform dieser Verdrängung nennt das Papier als YOLO-Prinzip: „You only live once“. Also, wenn alles den Bach runter geht, dann jetzt noch schnell gut leben.
Auch Verzichtsappelle würden nicht weiterhelfen, so Holzinger, vielmehr gehe es darum, attraktive Alternativen zu vermitteln und sich öffentlich über die notwendigen Maßnahmen zu verständigen, die dann von allen zu befolgen seien. Nur so könnten wir dem Gemeingut-Dilemma entgehen: „Denn wenn nur ich auf das Autofahren verzichte, trage ich nur dazu bei, dass sich für andere der Stau verringert.“ Wirksam seien daher Maßnahmen wie Fahrverbote, flächendeckend kostenpflichtiges Parken und ein attraktiver, preisgünstiger Verkehr. Neben Wissen und Wollen spielt eine wichtige Rolle, was in einer Gesellschaft oder auch der eigene Gruppe hoch angesehen ist, also Werte, ob die richtigen Anreizstrukturen gegeben sind, also das Können, letztlich, ob die Maßnahmen verbindich für alle gelten, also das Müssen.
Holzinger macht Erkenntnisse der Transformations- und Konsumforschung, der Soziologie und Psychologie sowie der Postwachstumsökonomie für die Bildung für nachhaltige Entwicklung fruchtbar. Er versteht Bildung wesentlich als Reflexion und Hinterfragung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen, die Nachhaltigkeit verhindern. Bildung bedeute, so sein Fazit, insbesondere, „die richtigen Fragen zu stellen. Bildung für nachhaltige Entwicklung wird damit wesentlich zu demokratie- und wirtschaftspolitischer Bildung.“
Quelle: Jungk Bibliothek