Es ist ein wenig wie der Kampf David gegen Goliath: Der Schweizer Ernst Götsch will die industrielle Landwirtschaft neu gestalten. In seiner Wahlheimat Brasilien erzielt er laut eigenen Angaben einen ebenso guten Ertrag in der Kakaoernte, wie es der konventionell betriebene Nachbarhof tut – und das ohne den Einsatz von externem Dünger, Pflanzenschutzmitteln und grossen Maschinen.
Von Franziska Scheven
Götsch nennt seine Methode Syntropie. Es ist eine Form der Agroforstwirtschaft, bei der das Pflanzen von Bäumen mit Ackerbau und Tierhaltung kombiniert wird. In Götschs Fall ist es eine Reihe von verschiedenen Anpflanzungen, die sukzessive auf der gleichen Fläche angebaut werden. Der Begriff Syntropie kommt aus dem Griechischen und bedeutet «miteinander wenden oder drehen». Die daraus resultierende Biodiversität macht Pflanzen widerstandsfähiger gegen extreme Wetterbedingungen und Krankheitsbefall. «Jedes ausgemergelte Land auf der Erde wird früher oder später eine Vielfalt von Sträuchern, Gräsern und Bäumen produzieren. Das ist die natürliche Kraft der Erde. Die müssen wir nutzen und nicht mehr mit Unkrautvernichtern dagegen ankämpfen», erklärt Götsch.
Neuartige Maschinen
Um die syntropische Landwirtschaft ökonomischer zu machen, entwickelt der 71-jährige Götsch eigens dafür neue Maschinen. Zusammen mit dem Schweizer Maschinenbauer Rhenus TEK, einer Jungfirma aus Altstätten im St. Galler Rheintal, arbeitet er an der Entwicklung von insgesamt zehn Geräten. Den ersten Prototyp stellte Götsch im November auf dem Gut Alt Madlitz im deutschen Bundesland Brandenburg vor, der ersten Versuchsfläche für syntropische Landwirtschaft in Deutschland.Auf diesem Hof demonstriert Götsch eine Bodenfräse mit Grubber. Ein Grubber wird zur Lockerung und Krümelung des Bodens sowie zur Unkrautbekämpfung und zur Einarbeitung von humosen Materialien in den Boden eingesetzt. Götsch kommt ursprünglich vom Thurgauer Seerücken in der Nähe des Bodensees. Nach dem Studium der Landwirtschaft hat er vier Jahre beim Institut für Pflanzenbau in Zürich gearbeitet. Über verschiedene Umwege gelangte er Anfang der 1980er Jahre nach Brasilien. Dort begann er auf einer ausgedörrten Farm in Pirai do Norte im Gliedstaat Bahia, die von der Kakaobehörde als «unbrauchbar» gekennzeichnet war, genau diese Frucht erfolgreich anzubauen. Videoaufnahmen von heute zeigen Götschs Farm als grünen und üppigen tropischen Regenwald.
Über 10 000 Landwirte folgen dem Beispiel
Die Methode fand in Brasilien aufgrund ihres Erfolgs bald Nachahmer. Über 10 000 Landwirte habe er bereits bei der Umstellung beraten, so Götsch. Der Landwirt mit der grössten Fläche – insgesamt 8000 Hektaren – ist laut Götsch der Unternehmer Paulo Borges im brasilianischen Gliedstaat Mato Grosso. Gemäss Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, könnte Agroforstwirtschaft in Zukunft eine grössere Rolle spielen. Eine neue EU-Studie, an der Agroscope beteiligt war, hat 9 Prozent derjenigen Flächen in Europa identifiziert, die landwirtschaftlich intensiv genutzt werden und von Umweltproblemen betroffen sind. Agroscope-Mitarbeiter Felix Herzog hält fest: «Würde man auf diesen Flächen Agroforstwirtschaft betreiben, könnte man dort Boden und Gewässer besser schützen, die Biodiversität erhöhen und zusammengerechnet bis zu 43 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen in Europa kompensieren.»
Vorreiter Schweiz
Mareike Jäger von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sieht das ähnlich. «Dank der Forschung weiss man heute, dass Agroforstwirtschaft eine sehr effiziente Methode ist, um Umweltbelastungen zu reduzieren und die Resilienz der Landwirtschaft zu erhöhen», sagt sie. Jäger ist Dozentin für landwirtschaftliche Produktionssysteme im Forschungsbereich biologische Landwirtschaft. Knapp 9 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz sind laut Agroscope in agroforstlicher Bewirtschaftung. Traditionell sind das Obstgärten, Kastanienselven und Waldweiden. In den vergangenen zehn Jahren kamen laut Herzog weitere 200 Hektaren hinzu, die zur Vermeidung von Erosion und Nitratauswaschung sowie zur Anreicherung von Bodenhumus und zur Biodiversitätsförderung angelegt wurden. In der Schweiz wird Agroforstwirtschaft in Teilen vom Bund unterstützt. Damit ist die Schweiz Vorreiterin in Europa.
Lage in Europa
Laut der Europäischen Agroforst- Vereinigung (Euraf) betreiben lediglich einige südliche Länder die Methode vermehrt. In Frankreich beispielsweise, wo Agroforstwirtschaft in Teilen ebenfalls gefördert wird, werden knapp 6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche agroforstlich genutzt. In Ländern wie Österreich oder Deutschland sind die Flächen kleiner. In Deutschland erkennt man positive Effekte der Agroforstwirtschaft zwar an, ohne «spezielle Förderung» sei eine Umstellung aber unrealistisch, sagt Knut Ehlers vom deutschen Umweltbundesamt in Dessau-Rosslau. «Ein Haupthindernis für die Etablierung von Agroforstsystemen dürfte die Wirtschaftlichkeit sein», sagt er. In Deutschland werden lediglich die konventionelle und die Biolandwirtschaft gefördert. Hinzu kommen bürokratische Hürden. Will ein Landwirt in Deutschland Bäume auf seinem Acker pflanzen, schreibt das Gesetz genau vor, wie viele Bäume er pro Hektare pflanzen darf. Wenn er sich nicht daran hält, verliert er den «Ackerstatus». Dieser ist sehr viel mehr wert als die Status für andere Flächen wie Forstflächen oder Grünland. Ausserdem habe man bei der syntropischen Landwirtschaft keinerlei konkrete Daten, so Ehlers. «Momentan ist dies eine schöne Geschichte, die ich gerne glauben möchte», sagt er. «Für eine Beurteilung brauchte man aber entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen mit statistisch auswertbaren Daten. Diese sind mir nicht bekannt.»
Nachahmer in Deutschland
Der Jungbauer Benedikt Bösel vom Gut Alt Madlitz in Brandenburg möchte es trotzdem versuchen. Sein Hof steht laut den Behörden auf einem «benachteiligten Gebiet» mit entsprechend schwachen Böden. Sie sind sandig und im Sommer langen Trockenperioden ausgesetzt. Bösel hofft, mit Götschs Methode eine Aufwertung seiner Böden zu erreichen. «Es gibt in Deutschland keine Fördermittel für multifunktionale Systeme, wie die syntropische Landwirtschaft eines ist», so der 35-Jährige, der auf weiteren 1100 Hektaren ökologische Landwirtschaft betreibt. Die Pflanzen hier sind nach Götschs Vorbild angeordnet: Zwischen jeder Baumreihe befinden sich fünf bis sechs Meter Acker und Weideland, was die Ernte erleichtert und die Nutzung von Maschinen möglich macht.
Der erste Prototyop geht in Serie
Götsch seinerseits hofft, mit neuen Maschinen die syntropische Landwirtschaft auch für Landwirte, die grosse Flächen bearbeiten, wirtschaftlich interessanter zu machen. Der erste Prototyp soll nun in Serie gehen. Die Maschine wird um die 6000 Franken kosten. Bisher sind laut Götsch insgesamt vierzig Vorbestellungen eingegangen. Weitere Maschinen sollen entwickelt werden. Die Kosten für die Entwicklung dieser Maschinen belaufen sich auf etwa 1 bis 2 Millionen Franken. Das Geld wollen die Unternehmer ab dem ersten Quartal 2020 von Investoren einsammeln.
Die verschwundene Landschaft
Landwirtschaftliche Betriebe in der Schweiz investieren laut dem Bundesamt für Statistik mehr als 15 000 Franken pro Jahr in Ausrüstung wie Maschinen und Traktoren – Tendenz steigend. Ein herkömmlicher Grubber oder Pflug kann zwischen 2500 und weit über 10 000 Franken kosten. Jedes Mal, wenn Götsch in die Schweiz reist, sehnt er sich nach dem Landschaftsbild der 1950er Jahre. Damals seien viel mehr Bäume auf den Äckern und Weiden gestanden und es habe weniger Monokulturen gegeben, sagt er. «Wir müssen in diese alte Zeit zurück, aber mithilfe der Technologie von heute. Ich sehe mich als Bindeglied zwischen damals und der Moderne heute.»
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, vom 16. Jänner 2020
Autorin: Franziska Scheven