20.12.2012
Die globale Wirtschafts-ordnung, die Reiche immer reicher macht und öffentliche Schulden ins Unermessliche steigen lässt, ist abzustellen, fordert Hans Holzinger, Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg.
340 Millionen Euro hat eine Salzburger Finanzbeamtin vermutlich verspekuliert. Das ist viel Geld. Es wird Aufgabe der Gerichte und eines Untersuchungsausschusses sein, wie diese Verluste zustande gekommen sind und wer seit wann davon gewusst hat – so klar ist dies derzeit wohl nicht, wie gegenseitige Schuldzuschiebungen etwa zwischen Banken, Rechnungshof und Parteien vermuten lassen. Unsere Empörung sollte aber auch dem dahinter stehenden Finanzsystem gelten, welches ermöglicht, so hohe und noch höhere Verluste, selbstredend aber auch Gewinne zu machen – allein durch Spekulation, was ja nicht wirklich als Arbeit zu bezeichnen ist. Empören sollten wir uns auch darüber, was die Finanzbeamtin, die sich ja nicht selbst bereichern wollte, zu ihren riskanten Geschäften veranlasst hatte, nämlich die Schulden des Landes Salzburg erträglich zu halten.
Es ist die rapide zunehmende öffentliche Verschuldung bei gleichzeitigem Anwachsen der Privatvermögen, die die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls immer schwieriger macht.
Weltweit gibt es fast 50 Billionen Dollar Staatsschulden. Zugleich parken Vermögende beinahe 12 Billionen Dollar in Steueroasen, so die Journalistin Ute Scheub in ihrem „Beschiss-Atlas“. Die weltweiten Staatsschulden haben sich innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt – ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Finanzkrise von 2008/2009. Der Soziologe Ralf Dahrendorf spricht daher von „Pumpkapitalismus“.
Top-Verdienende müssen immer weniger Steuern zahlen, weil die Spitzensteuersätze sinken. Zugleich steigt die Zahl der Millionäre – Ende 2011 waren es laut der Unternehmensberatung Capgemini rund elf Millionen Personen, die über mindestens 1 Mio. Dollar Vermögen verfügten. Weltweit besitzen diese Reichen an die 42 Billionen Dollar (nach DIE ZEIT v. 6.12. 2012). Zugleich leiden eine Milliarde Menschen an Hunger. Der Vermögenszuwachs der 100 reichsten Familien beträgt mehr als die gesamte weltweite Entwicklungshilfe, rechnet Franz Josef Radermacher von der Global Marshall Plan-Initiative vor.
Überbordender Reichtum als Demokratieversagen
Eine Studie der Eidgenössischen Hochschule Zürich aus 2011 besagt, dass 147 Konzerne etwa 40 Prozent der Weltwirtschaft beherrschen – mittels Aktienpakten, Krediten und Anteilen an Fremdfirmen. Zwei Drittel dieser Konzerne gehören zur Finanzindustrie, darunter etwa JB Morgan, Barclay oder UBS. Die 25 international bestbezahlten Hedgefonds-Manager verdienten 2009 zusammen 25,3 Milliarden Dollar, so eine Spiegel-Story „Märkte außer Kontrolle“. Die Aufzählung solch perverser Daten ließe sich lange fortsetzen!
Der Salzburger Spekulationsfall gehört aufgeklärt. Die Vorschriften für die Finanzverwaltung öffentlicher Haushalte sind zu verschärfen – keine Spekulation mit öffentlichem Geld. Doch das reicht nicht. Zu überwinden ist eine perverse globale Wirtschafts“ordnung“, die Reiche immer reicher macht und Arme ärmer. Das nächste US-Budget könnte daran scheitern, dass die Republikaner Barack Obama die Zustimmung zu höheren Vermögenssteuern verwehren. Die Folge wären drastische Kürzungen der ohnedies niedrigen öffentlichen Ausgaben. Was dies heißt, spürt derzeit etwa die griechische Bevölkerung. In der Weltgeschichte wurde bereits einiges erreicht – die Abschaffung der Sklaverei (auch wenn sie in neuer Form durch Ausbeutung und Menschenhandel wieder zurückkehrt), die Vertreibung von Tyrannen. Demokratie im 21. Jahrhundert muss daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, das moderne Wuchersystem von öffentlichen Schulden und privater Vermögensanhäufung zu überwinden. Dass die nur in internationaler Kooperation möglich ist, versteht sich von selbst. Die Empörung der Menschen ist dafür offensichtlich aber noch nicht groß genug!
Krisenstabile Marktwirtschaft durch Komplexitätsreduktion
Krisenstabile Systeme brauchen Fehlerfreundlichkeit. Dies erfordert die Minimierung von Großrisiken sowie in der Regel die Reduktion von Komplexität. Der Finanzmarkt, ursprünglich geschaffen zur Finanzierung von Investitionsvorhaben sowie die Absicherung gegen Risiken etwa bei Termingeschäften, hat ein Eigenleben entfaltet. Mit Spekulation sollte aus Geld möglichst viel Geld gemacht werden. Immer neue „Produkte“ wurden geschaffen, die Transaktionen haben sich vervielfacht und – auf elektronischem Weg – enorm beschleunigt. Das hat das System höchst instabil gemacht und zur Bereicherung der wenigen auf Kosten der Vielen geführt.
Notwendig ist eine global akkordierte Steuerpolitik, die dem Steuerwettlauf nach unten entgegenwirkt und Steueroasen austrocknet, wie dies etwa Attac oder die Global Marshall Plan-Initiative seit vielen Jahren fordern. Die Finanzmärkte müssen redimensioniert werden. Geld muss (wieder) dienende Funktion erhalten. Zu diskutieren sind neue Rahmenbedingungen für das Wirtschaften, wie dies etwa das Konzept der Gemeinwohlökonomie oder der Schweizer Wirtschafts- und Sozialrat mit seiner „Verfassung für den Kapitalismus“ vorschlägt. Zu unterstützen und zu ermöglichen sind nicht zuletzt neue Unternehmensformen nach Stiftungs- und Genossenschaftsrecht sowie neue partizipative Finanzierungsformen, wie dies der „Waldviertler“ Schuh-Unternehmer Heini Staudinger vorgezeigt hat. Fatal ist die permanente Abwertung des Politischen und des Staates. Der Politik allein die Schuld zu geben an den aktuellen Spekulationsmiseren, spielt genau jenen in die Hände, die sich dagegen wehren, weil sie vom jetzigen System profitieren.
Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit, neue Wohlstandsmodelle, Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, globale Gerechtigkeit. Vortrags-, Publikations- und Seminartätigkeit; Lehrauftrag an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Mitherausgeber der Zeitschrift „pro Zukunft“.
Dieser Artikel ist auf der Website von Lebensart. Leben mit Zukunft nachzulesen.