Die EU soll bis 2050 «klimaneutral» werden und ihre Wirtschaft umkrempeln. Vorerst 1000 Milliarden Euro will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür investieren.
Es war ein in den vergangenen Tagen nur noch schlecht gehütetes Geheimnis, dass die neue Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, 1000 Milliarden Euro für den Kampf gegen den Klimawandel investieren will. Entsprechend wurden die ersten Reaktionen schon vor der offiziellen Mitteilung der Kommission versandt. Und so richtig dagegen mochte niemand sein. «Wenn Europa ambitionierter Klimaschutz zusammen mit der Industrie gelingt, werden andere Wirtschaftsregionen nachziehen», schrieben die Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary und Angelika Niebler. «Ein solider erster Aufschlag für den grünen Strukturwandel», liess der grüne Europaparlamentarier Niklas Nienass verlauten. Man müsse sicherstellen, dass die öffentlichen Mittel private Investitionen nicht verdrängten, sondern ergänzten, kommentierte der Firmenverband Business Europe.
Etikettieren und Hebeln
Von der Leyen hatte nur zehn Tage nach ihrem Antritt im Dezember die Pläne für ein klimaneutrales Europa bis 2050 vorgestellt (Green Deal), nun zückt sie das Checkbuch. Doch eigentlich ist laut der Kommission noch mehr nötig. Bis 2030 braucht es demnach nicht nur die geplante 1 Billion Euro, sondern gar 2,6 Billionen, um die Klimaziele zu erreichen. Bis dahin will die EU die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 40 Prozent senken. Von der Leyen bäckt keine kleinen Brötchen. Bei genauerem Hinsehen wird aber klar, dass die 1000 Milliarden Euro wohl vor allem eine schöne Zahl sein sollen und dass dahinter weit weniger frisches Geld steckt als zunächst vielleicht vermutet. Man wird sogar unwillkürlich an die wundersame Brotvermehrung im Neuen Testament erinnert. Nur dass die Kommissionspräsidentin nicht aus fünf Broten und zwei Fischen ein Abendessen für 5000 Personen macht, sondern grob vereinfacht gesagt mit zusätzlichen 7,5 Milliarden Euro der EU-Mitgliedstaaten Investitionen in der Höhe von 1 Billion Euro auslösen will. Die Summe kommt nämlich in erster Linie zustande, indem sowieso notwendige oder schon gesprochene Gelder umetikettiert und als «grün» bezeichnet sowie Mittel umgenutzt und vor allem gehebelt werden. Der grösste Anteil der Billion, nämlich 503 Milliarden Euro, entstammt den mehrjährigen EU-Budgets. Das nächste deckt die Jahre 2021 bis 2027 ab.
Die Kommission will mindestens einen Viertel der Ausgaben der nächsten beiden Budgetperioden in «grüne» Anliegen fliessen lassen. Beispielsweise sollen 40 Prozent der Gelder für Bauern künftig «grüne» Interessen fördern. Der zweitgrösste Beitrag soll Invest-EU beisteuern. So heisst das Nachfolgeprogramm des Juncker- Fonds, mit dem die Kommission unter Jean-Claude Juncker die Investitionen in Europa nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise wieder ankurbeln wollte. Bis 2027 will die Kommission 650 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen generieren. Rund 280 Milliarden davon sind nun für «grüne» Projekte vorgesehen. Die dabei kopierte Grundidee des Juncker-Fonds lautet: Die EU spricht wenig Geld und gibt viele Garantien. Damit sollen private Investoren angezogen werden, die das Gros der Finanzierung, aber nicht des Risikos tragen. Nochmals 114 Milliarden Euro werden von den Mitgliedstaaten als Kofinanzierung von Projekten erwartet, und 25 Milliarden Euro gibt es vom Emissionshandelssystem.
Gerechtigkeits-Fonds für alle
Rund 100 Milliarden Euro schliesslich bilden den sogenannten Just Transition Fund (JTF), der bis 2027 läuft. Verlängert bis 2030 wären es 143 Milliarden Euro. Es ist ein Fonds, der dazu dient, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft sozialverträglich zu gestalten. Die grösste von drei Tranchen beläuft sich auf 45 Milliarden Euro und kommt aus dem erwähnten Invest-EU-Programm. Die zweite, von mindestens 30 Milliarden Euro, enthält die erwähnten 7,5 Milliarden Euro an frischem Geld, das die EU-Staaten einzahlen sollen. Dazu kommen Kohäsionsgelder der Mitgliedstaaten und nationale Beiträge. Die dritte Tranche, 25 Milliarden Euro oder mehr, besteht aus einer Hebelung öffentlicher Gelder mit 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Budget und 10 Milliarden Euro der Europäischen Investitionsbank. Diese spielt bei Invest-EU und damit nun hier bei der Finanzierung des Green Deal eine Schlüsselrolle. Der Fonds für den gerechten Übergang (JTF) soll nicht nur den ärmeren Regionen und Ländern zugutekommen, sondern auch Kohleregionen, beispielsweise in Deutschland. Es soll aber grundsätzlich einen Fokus geben auf besonders stark betroffene Regionen und eine Korrektur zugunsten der ärmeren Länder.
Um die Mittel zu erhalten, müssen die EU-Mitgliedstaaten Regionen definieren, welche vom Klimawandel besonders negativ betroffen sind, und anschliessend Investitionspläne in Brüssel genehmigen lassen. Mit dem Geld aus diesem Gerechtigkeits-Fonds will die Kommission etwa Arbeitnehmer weiterbilden und Investitionen in Fernwärmenetze und die Renovierung von Gebäuden fördern. Im März will die Kommission nötige Gesetzesvorschläge präsentieren. Ferner werden die Forderungen auch Teil der laufenden Verhandlungen zum EU-Budget.
Autor: Christoph G. Schmutz, Brüssel
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 11 241. Jg., Mittwoch, 15. Januar 2020,