Wie können wir die Pariser Klimaziele in Österreich erreichen? Auf Initiative der Klimaforscher Gottfried Kirchengast, Uni Graz, ÖAW, Helga Kromp-Kolb, BOKU, Karl Steininger, Uni Graz und Sigrid Stagl, WU wurde in Zusammenarbeit mit über 70 weiteren ExpertInnen ein “Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP)“ mit neun Rahmenmaßnahmen erstellt:
- Klimagerechte Steuerreform
- Hocheffiziente Energiedienstleistungen
- Umbau zur Kreislaufwirtschaft
- Klimazielfördernde Digitalisierung
- Klimaschutzorientierte Raumplanung
- Adäquater Ausbau erneuerbarer Energien
- Naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung
- Wegweisende Pariser Klimazielorientierung
- Bildung und Forschung zu Klima und Transformation
Die Rahmenmaßnahmen im Detail:
1. Klimagerechte Steuerreform
Eine sozial-, wirtschafts- und umweltgerechte Steuerreform, auch sozial-ökologische oder ökosoziale Steuerreform genannt, die Kostenwahrheit annähert (CO2-Preis, Abbau fossiler Subventionen, Anreiz klimafreundlicher Innovationen) und mit Blick auf breite Akzeptanz zugleich Entlastung für Menschen mit niedrigem Einkommen sowie für Nebenkosten auf Arbeit sicherstellt.
2. Hocheffiziente Energiedienstleistungen
Enge Technologievernetzungen zur optimalen Entwicklung hocheffizienter Energiedienstleistungen über alle Sektorgrenzen hinweg (Energie & Industrie, Verkehr, Gebäude, Land- & Forstwirtschaft, usw.) und für alle Konsumbedürfnisse, sodass der Primärenergiebedarf für jede Art Bedarfsabdeckung einschließlich für Mobilität grundlegend reduziert wird und fossile Energieträger vollständig durch Erneuerbare ersetzbar werden, ohne die nötige systemische Robustheit (Resilienz) außer Acht zu lassen.
3. Umbau zur Kreislaufwirtschaft
Ein übergreifender wirtschaftspolitischer Fokus auf Umbau hin zu einer Kreislaufwirtschaft, um primäre Material-und Energieinputs tiefgreifend und dauerhaft zu reduzieren, die Lebensdauer materieller Güter zu erhöhen und die Abfallmengen zu minimieren.
4. Klimazielfördernde Digitalisierung
Eine alle digitalen Systeme umfassende, zielgerichtete Nutzung und Förderung der Möglichkeiten der Digitalisierung („Industrie 4.0“), konsequent im Einklang mit und im Dienst einer klima- und umweltgerechten Lebens- und Produktionsweise (neuer Kernbereich „Umweltschutz 4.0“), sodass Digitalisierung (Internet der Dinge, Smart Grids, Automatisierung, usw.) Ressourcenbedürfnisse wirklich tiefgreifend senken hilft.
5. Klimaschutzorientierte Raumplanung
Eine klar klimaschutzorientierte Energie- und Mobilitäts-Raumplanung, mit Schwerpunkt auf urbane und regionale Kernräume nach den Grundsätzen von Funktionsmischung, maßvoller Dichte und Innenentwicklung, die kurze Wege schafft und den Energie- und Mobilitätsbedarf strukturell verringert. Beispiele: Einkaufsmöglichkeiten innerhalb anstatt konzentriert am Rand von Siedlungen; keine weiteren Umwidmungen in Bauland bei bestehenden Leerständen; Einschränkung der Parkplatzflächen gekoppelt mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und von Ride&Car Sharing Angeboten.
6. Adäquater Ausbau erneuerbarer Energien
Am Gesamtsystem orientierter und gezielt am Energiedienstleistungsbedarf ausgerichteter rascher Ausbau der Produktionskapazitäten für Elektrizität und Fernwärme & -kälte aus erneuerbaren Energiequellen (Sonne, Wind, Wasser und Biomasse) sowie der jeweilig notwendigen Energie-, Anergie- und Informations-Netze samt Speichern. Beispiel: Investitionsförderungen und Einspeisevergütungen für erneuerbare Energie, gekoppelt an Bedarfs- und Effizienzprüfungen, sowie Umweltprüfungen; Investitionen in den Ausbau eines intelligenten Stromnetzes und Energiespeicher.
7. Naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung
Eine gezielt auf Basis zunehmend biologisch-regenerativ orientierter Land- und Forstwirtschaft aufgebaute Kohlenstoffspeicherung in Österreichs Böden und Holzbiomasse durch Einschränkung der Bodenversiegelung und durch Humusaufbau sowie mittels Energiewaldwirtschaft und Holznutzung, um mit nachhaltiger Landnutzung das Nötige zur Klimaneutralität beizutragen. Beispiele: Ausbau der jährlichen Speicherfähigkeit um ca. 0,3 Mt CO2 / Jahr ab 2020 bis zu einer jährlichen Kapazität von ca. 7,5 Mt CO2 / Jahr ab 2045; durch Förderung von Maßnahmen zum Humusaufbau in der Landwirtschaft (biologischer Landbau, Leguminosen, Rückführung der Erntereste, Pflanzenkohle) und biologisch-regenerativ orientierter Forstwirtschaft. Kohlenstoffspeicherung integriert in der Bioökonomie.
8. Wegweisende Pariser Klimazielorientierung
Sektor- und ebenenübergreifende Ausrichtung aller Entscheidungen, Verordnungen und Gesetze am Pariser Klimaziel, u.a. durch Schulung der EntscheidungsträgerInnen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Unterstützung der überparteilichen, internationalen Pariser Klimazielbewegung aus zivilgesellschaftlichen, institutionellen und Politik-gestaltenden AkteurInnen (aus NGOs, Graswurzelbewegungen wie Fridays For Future, Sozialpartnern, Unternehmen, Universitäten, Institutionen der EU, Medien, politischen Parteien, u.v.m.), die wegweisend, bahnbrechend und wegbegleitend das Mitgehen Österreichs am Pariser Klimazielweg sicherstellt. Klimawirksamkeit wird damit als verbindliches Entscheidungskriterium in alle politischen Entscheidungen einbezogen, z.B. in Entscheidungen zu Handels – und Investitionsabkommen und Infrastrukturmaßnahmen (z.B. 3. Piste, G5-Ausbau, Digitalisierungsförderungen).
9. Bildung und Forschung zu Klima und Transformation
Verankerung des Themas Klimawandel und Transformation im Rahmen systemischer Ansätze als wesentlichen Teil aller Bildungs- und Ausbildungswege, von Kindergärten bis Universitäten, in Verbindung mit einer grundlegenden Umorientierung der Bildung hin zu motivationsbasiertem, individuell-förderndem, kreativitäts -förderndem, problem- und projektorientiertem sowie fächerübergreifendem Unterrichten und Lernen; in Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen gleichzeitig Stärkung öffentlicher Investitionen für Forschung, Entwicklung und Innovation zu diesem Thema, auch um nicht-nutzerinteressensgeleitete Forschung im notwendigen Ausmaß zu gewährleisten.
Sektorspezifische Maßnahmenbündel im Referenzplan
Ergänzend dazu sind sektorspezifische Maßnahmenbündel wichtig, mit Schwerpunkt auf die Sektoren Energie & Industrie, Verkehr, Gebäude, Land- & Forstwirtschaft, Bioökonomie sowie Stofffluss- & Abfallwirtschaft, die nahtlos in die oben genannten Rahmenmaßnahmen und Rahmenzielsetzungen zu integrieren sind, da sie nur so ausreichend wirksam werden.
Energie & Industrie: Reduktion des Energiebedarfes, Steigerung der Energieeffizienz und adäquater Ausbau erneuerbarer Energien; Investitionen in dezentrale, intelligente Stromnetze und Speicher, sowie in der Industrie ein Fokus auf bedarfsorientierte, langlebige und reparierbare Qualitätsprodukte ohne geplante Obsoleszenz.
Kreislaufwirtschaft: Klimazielfördende Digitalisierung und effiziente sektorübergreifende Lösungen („Sektorkopplung“). Ziel ist eine starke Verringerung des Energie- und des Ressourcenverbrauchs und ein entsprechend starker Abbau von Emissionen, der wegen des geringeren Verbrauchs auch kostensenkend wirkt.
Verkehr: Eine Aufwertung der aktiven Mobilität (Radfahren, Gehen) und des öffentlichen Verkehrs, Einführung von Mobilitäts-Lenkungsabgaben (zzgl. zu einem CO2-Preis) und/oder einer Verringerung der Höchstgeschwindigkeit (insbes. auf Autobahnen als eine effektive und vergleichsweise rasch umsetzbare Maßnahme). Weiters Maßnahmen, die sicherstellen, dass fossile Antriebe zeitgerecht auslaufen (z.B. keine Neuzulassung von fossil betriebenen Personen-Kfz einschließlich Zweirädern ab 2030) und dass klimazielfördernde Digitalisierung und Automatisierung sowie Mobilitäts-Raumplanung eine nahezu emissionsfreie und für alle leistbare Mobilität unterstützen.
Gebäude: Priorität von Sanierung vor Neubau in allen Genehmigungen, Förderungen, etc.; Nutzung klimafreundlicher Materialien und Bauweisen und Verankerung dieser in Richtlinien und Gesetzen; lokale Strom- und Wärmenetze (insbesondere für Abwärme) und Produktion, Verteilung, und Speicherung in „Energy Hubs“. Programme und Förderungen für nachhaltige Gebäude zielen auf integrierte Sanierung und klare Vorschriften für klimagerechte Standards in Neubau und Sanierung ab (z.B. klimagerecht Bau- und Dämmmaterialien, Raum und bodenschonende Bauweisen, Passivhaus-Standard, Plusenergie-Gebäude) sowie auf Integration der Gebäude in lokale Heiz- und Kühlsysteme (Energieerzeugung, -speicherung, -kreislaufführung, und thermische Qualität). Klimaschutzorientierte Raumplanung führt Wohnen, Arbeiten und Mobilität im Sinn einer Funktionsmischung näher zusammen, ebenso wie Städte und ländliche Räume.
Land- & Forstwirtschaft: Zunehmend flächendeckender Ausbau von klimafreundlichen und klimawandelrobusten Bewirtschaftungsformen, insbesondere Biolandbau; starke Reduktion des Stickstoffmineraldünger-Einsatzes und Tierbestandes (wegen deutlicher Verringerung des Fleischkonsums); nachhaltigkeitsorientierte Präzisionslandwirtschaft; Aufbau von Bodenhumus und Holzbiomasse für Kohlenstoffspeicherung und Bioökonomie; Unterstützung nachhaltiger Ernährungsweisen (weniger Fleischkonsum, für alle leistbare biologische Lebensmittel). Der Erhalt und die Erhöhung von naturverträglicher Kohlenstoffspeicherung in Böden und Wäldern, mit Rücksicht auf Biodiversität, ist dabei eine übergreifende Priorität;
Bioökonomie: Forcierter Aufbau einer kreislauforientierten, nachhaltigkeitsorientierten Bioökonomie (auch im sozioökonomischen Bereich), unter sorgfältiger Berücksichtigung von Zielkonflikten mit Nahrungsmittelerzeugung (z.B. Flächenbedarf) und Umwelt (z.B. Biodiversität), vor allem durch kaskadische Nutzung (Holzbau, Ersatz fossiler Rohstoffe in der Produktion). Es soll zu Emissionsabbau und zu Kohlenstoffspeicherung ein wichtiger Beitrag geleistet werden.
Stofffluss- & Abfallwirtschaft: Weiterer Ausbau des Fokus auf stofflicher Verwertung und Abfallvermeidung im Sinn kreislaufwirtschaftlicher Konzepte (z.B. „Design for Maintenance / Re-use / Re-furbishment / Re-cycling / Re-selling“). Ebenso ist es wichtig, die Klimaschutz Potenziale für Emissionsverringerung und Emissionsvermeidung in der Abfallbehandlung (z.B. Deponienachsorge, Abfallverbrennung) optimal auszuschöpfen.
Quelle: ökonews.at
Weiterführende Links:
CCCA Executive Summary
228-seitiger Referenzplan
Der nationale Klima- und Energieplan